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Gemeinsam gegen die Einsamkeit

Versammelte Gruppe beim Kafi Erinnerig

Hannelore Wagner aus Oberkirch hatte sich zur Aktivierungsfachfrau ausbilden lassen, liebte diese Tätigkeit und vermisste sie nach ihrer Pensionierung. Also überlegte sie sich, was sie dagegen tun könnte und gründete das «Kafi Erennerig» in Oberkirch.

Unter dem Motto «Senioren unterstützen Hochbetagte» kommen einmal pro Monat 11-13 Gäste zusammen und unterhalten sich bei Kaffee und Kuchen, singen zusammen, hören sich Gedichte und kurze Geschichten an zu einem bestimmten Thema und tauschen ihre Erinnerungen aus. Die Themen sind breitgefächert, da geht’s z.B. um Advent, Konfi machen, Metzgete, Fasnacht, Schneiderinnen und, aktuell im Herbst, um die Chilbi. «Ich möchte jenen Menschen etwas anbieten, die nicht mehr zu den aktiven Senioren gehören und zu Hause langsam vereinsamen», erklärt Hannelore.

Sitzkissen und Filterkaffee

Die Gäste werden auf Wunsch mit dem Auto abgeholt und wieder nach Hause gebracht, Hannelore kümmert sich liebevoll um die Tischdekoration, die das Thema des Nachmittags aufnimmt. Abwechslungsweise bäckt jemand aus dem 7-köpfigen Team einen Kuchen. Man setzt sich – auf Stühle mit Kissen, wohlverstanden – es wird Kaffee getrunken – Filterkaffee, in Anlehnung an früher – ein Lied gesungen, Hannelore erzählt eine kurze Geschichte oder liest ein Gedicht vor, welches ins Thema des Nachmittags führt. Mit Anekdoten aus ihrem Leben animiert sie die Gäste, sich selber zu erinnern. Das braucht etwas Zeit, aber man sieht auf den Gesichtern, dass etwas geschieht im Innern: Interessierte Blicke, ein Nicken, ein Leuchten in den Augen, ein Lächeln und langsam fangen die Besucherinnen an zu erzählen.

Chnöiblätze und Bäredräck

«Wenn wir nicht an die Chilbi gehen können, machen wir eben selber Chilbi», erklärt Hannelore. Und so gibt es an diesem Nachmittag Lebkuchen-Herzen für alle, Magenbrot, Nidletäfeli, Ziegerkrapfen und Schenkeli alles selbst hergestellt vom Team. Auf dem Tisch Ballone, Zuckerwatte und Schleckzeug. Nein, sie sei nie an der Chilbi gewesen als Kind, erzählt die eine, da seien sie den ganzen Tag beschäftigt gewesen mit Chnöiblätze machen. Ja, sagt ihre Tischnachbarin, wir formten jeweils Rosen mit Dachschindeln, daran erinnern sich auch andere. Zuckerwatte habe es nicht gegeben in Oberkirch, aber Bäredräck. Kein Geld für die Chilbi, erklären die meisten, und immer Besuch von der Familie an diesem Tag. Hannelore lässt durchaus auch Abschweifungen zu und so erfährt man, dass Frühgeborene nach der Hausgeburt ins Ofenloch gelegt wurden, dass auf dem Bauernhof während der Maul- und Klauenseuche alle Milch selber verarbeitet werden musste oder wie der grössere Bruder die kleine Schwester dazu brachte, vom Stalldach zu springen. Ein grosser Schatz an Erinnerungen ist vorhanden, den Hannelore mit viel Begeisterung und Feingefühl herauskitzelt.

Das «Kafi Erennerig» besteht seit Dezember 2016 und richtet sich an Hochbetagte von Oberkirch. Im Moment ist die Gruppe vollständig, Sobald jemand ins Alters- oder Pflegeheim übertritt, gibt’s Platz für neue Mitglieder. Alle 7 Teammitglieder arbeiten auf freiwilliger Basis und geben alles, um den Gästen einmal im Monat etwas Abwechslung und Unterhaltung zu bieten. Das Angebot wird sehr geschätzt, so sehr, dass eine Besucherin, ungeimpft gegen Corona aus gesundheitlichen Gründen, sich extra testen lassen ging, um an diesem September-Nachmittag mit dabei sein zu können!

21.September
2021

Von Gabi Bucher